Wir führen seit Jahren eine umfangreiche Grundlagenforschung des Nervensystems im Gesicht an anatomischen Präparaten von Körperspendern anhand wissenschaftlicher Studien durch. Diese haben das Ziel einer Verbesserung von Operationsmethoden und klinischen Anwendungen. An einer der weltweit größten untersuchten Serien konnte an über 100 Gesichtshälften die Makro- und Mikroanatomie und andere bedeutende Grundlagen des Fazialisnerven und anderer, für die plastische Rekonstruktion wichtiger Gesichtsnerven, wie beispielsweise der Kaumuskelnerv (N. massetericus), eingehend untersucht werden. Als konsequentes Ziel wurde eine umfangreiche Darstellung der Axonkapazitäten (Nervenfasernanzahl) des gesamten Fazialisnervenastsystem im Gesicht an klinisch für die faziale Reanimation (Wiederbelebung der Mimik) relevanten Abschnitten, d.h. potentiellen Anschlussstellen für Nerventransplantate und funktionellen Muskeltransplantaten, formuliert. Als weiteres relevantes Spendernervenastsystem für neurotisierende Verfahren sollte der N. massetericus (Radix motoria nervi trigemini) mit der identischen Methodik untersucht werden. Dieser Zielsetzung sollte eine hohe Anzahl an Präparaten zugrunde gelegt werden, da sich in der aktuellen internationalen Literatur nur sehr wenige entsprechende Studien mit höherer Fall- bzw. Präparatanzahl fanden. Zu diesem Zweck wurden in dieser Studie an 53 Körperspendern (fresh frozen, Frischpräparate) und an insgesamt 106 Gesichtshälften unter vierfacher Lupenbrillenvergößerung die Äste des N. facialis und des N. massetericus präpariert. Eine ausführliche Fotodokumentation und Beschreibung der anatomischen Zusammenhänge (Anzahl der Haupt- und Unteräste, Durchmesser, Fusionen, Nervenanastomosen und Unterkreuzungen) erfolgte parallel dazu.
Der Autor dieser Seite hat zusammen mit seinem Team über 100 Gesichtshälften von humanen "fresh-frozen" Körperspendern mikrochirurgisch präpariert und wissenschaftlich untersucht. Der komplexe, jedoch für die Fazialisnervenrekonstruktion bedeutende Nervenplexus im Bereich des R. zygomaticus und R. buccalis stellte einen Schwerpunkt der Forschungsarbeiten dar.
Dieses 3D Modell demonstriert eindrücklich die komplizierte Anatomie des Gesichtes. Detaillierte anatomische Kenntnisse sind unabdingbar (conditio sine qua non) für erfolgreiche und sichere Operationsergebnisse. Gut zu erkennen ist die komplexe Anordnung der mimischen Muskulatur in mehreren Ebenen, der sensiblen, motorischen und autonomen Nervenastsysteme, der Arterien und Venen, Speicheldrüsen sowie weitere Strukturen. Intensive eigene Forschungsarbeiten konnten einen gewichtigen Teil zum besseren Verständnis der Lagesystematik anatomischer Gesichtsstrukturen beigetragen.
Quelle: "aherrler". Half of a head without skin. 2019. sketchfab.com/3d-models/half-of-a-head-without-skin-515c6f9c71784996bfab4fdb80ef0ad9 . Accessed on 11/15/2020. CC BY-SA 4.0. creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0.
Es wurden etwa 1200 Nervenproben entnommen, um beispielsweise die Anzahl der Nervenfasern (Axone), Faszikelstruktur, Axondichte, mikroskopische Durchmesserbestimmung und weitere Details verschiedenster Nervenäste zu untersuchen. Die Nervenfaserkapazität bestimmt mitunter, wie stark die Muskulatur zur Mimik angesprochen wird. Der Fazialisnerv zeigt ein sehr variables Verästelungsmuster mit großen individuellen Unterschieden zwischen verschiedenen Patienten und sogar der Gesichtshälften innerhalb eines Gesichtes. Entgegen der bislang bekannten Studien konnte der Gesichtsnerv erstmalig statt in einer zweidimensionalen Form (in einer Ebene) in einem dreidimensionalen Verlaufsmuster beschrieben und der Austausch von Fasern zwischen einzelnen Nervenästen genauer untersucht werden. Es wurden zudem neue Formen der Unterkreuzungen von Nervenästen entdeckt, die keinen Faseraustausch zeigten.
Nach Fixierung und Herstellung von Semidünnschnitten wurden die Präparate mit einer Färbelösung nach Richardson und mit PPD Färbung (Paraphenylendiamin für Nervenfärbung an osmierten Semidünnschnitten) gefärbt. Die histologischen Schnitte wurden anschließend digitalisiert. Dies ermöglichte die semi-automatisierte computerbasierte Auszählung myelinisierter Axone.
Ein Hauptfokus unserer Forschungsarbeiten stellt auch die genaue Beschreibung der Nervenversorgung eines wichtigen Muskels, der "Zygomaticus major" genannt wird, dar. Er ist als Hauptakteur der seitlichen Mundwinkelhebung der kräftigste Lach-/Lächelmuskel und damit einer der bedeutendsten Muskeln für die Mimik. Unser Forscherteam konnte eine neue anatomische Definition zur präzisen Beschreibung seiner Nervenversorgung in Bezug auf umliegende anatomische Strukturen definieren.
Basierend auf den gewonnenen makroanatomischen Kenntnissen wurde eine neue klinisch orientierte Definition zur präzisen Differenzierung der zygomatischen und buccalen Unteräste des Gesichtsnerven im zygomaticobuccalen System im Kontext der fazialen Reanimation formuliert. In 96 untersuchten Gesichtshälften innervierten in 64 Fällen (67%, 95% KI: 56% bis 76%) zygomatische Äste den für die faziale Reanimation relevanten Zygomaticus major - Muskel. Buccale Nervenäste versorgten ihn in 32 Gesichtshälften (33%, 95% KI: 24% bis 44%). Signifikante Unterschiede bezüglich des Geschlechtes oder der Seitenorientierung wurden nicht festgestellt. Signifikante Unterschiede seiner nervalen Ansteuerung zwischen Männern und Frauen und auch der rechten und linken Gesichtshälfte hingegen wurden nicht festgestellt. Mit einem selbst weiterentwickelten, computergestützten Verfahren gelang zudem eine präzise Bestimmung der Nervenfaserkapazitäten des Gesichtsnervens.
Darstellung eines Teils der einzelnen Bearbeitungsschritte unserer automatisierten Methode zur Auszählung von Axonen. Über eine von uns weiterentwickelte Computertechnik kann eine automatisierte Bearbeitung und Analyse der Nervenfaszikel zur Bestimmung der Anzahl der Axone durchgeführt werden.
Der Nervenastdurchmesser, die Lokalisation des Spendernerven und die Nervenfaserkapazität sind unter anderem entscheidend für den Erfolg einer freien funktionellen Muskeltransplantation, um der gelähmten Gesichtshälfte wieder eine gewünschte Muskelspannung (Tonus) sowie Beweglichkeit (Muskelkontraktilität) zu verleihen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse aus unserem Forschungslabor konnten bereits direkt in die klinische Praxis überführt werden und die funktionellen Resultate für die Patienten/-innen bezüglich Mimik, Symmetrie, Ästhetik und Gesichtsstraffheit deutlich verbessern.
In einer unserer mikroanatomischen Studien wurde anhand der computerbasierten semi-automatischen Quantifizierung die Axonkapazität des extratemporalen Fazialisnervenhauptstammes gemessen. Des Weiteren wurden die Faszikelstruktur beurteilt und der Hauptstammdurchmesser gemessen. Es ließen sich 3,82 Faszikel (1-9 Faszikel) im Hauptstamm finden (n=97). An 87 Gesichtshälften wurde im Mittel eine axonale Kapazität von 6684 ± 1884 Axone (2655 – 12457) bestimmt. Rechte Gesichtshälften zeigten 6364 ± 1904 Axone (n=43), linke 6996 ±1833 Axone (n=44) mit einem p=0,73. Weibliche Präparate zeigten 6247 ± 2230 (n=22), männliche 6769 ± 1809 Nervenfasern (n=40) ohne statistische Differenz (p=0,59). Der Nervendurchmesser wurde mit 1933 ± 424 µm(975 – 3012) gemessen (n=82). Mögliche potentielle Spendernerven zur Neurotisation einschließlich ihrer spezifischen Axonkapazitäten werden in der Publikation im Zusammenhang mit den gefundenen Ergebnissen diskutiert.
Als Spendernerv für neurotisierende Verfahren, jedoch auch bei der freien funktionellen Muskeltransplantation, verwenden wir häufig den N. massetericus - einen Ast des Kaumuskelnervs. Aufgrund seiner topographischen Nähe zum Hauptstamm des N. fazialis und dem zygomatischen wie auch buccalen Astsystem kommen neurotisierende Operationen (Nerventransfers) mit nur einer Koaptation (Nervennaht) anstatt zwei Koaptationen wie bei der älteren (jedoch vielerorts noch verwendeten) Hypoglossus-Jump-Nerven-Anastomose aus. Ergo ist der Verlust an Axonkapazität (und damit motorischem Potential für die die wiederzubelebende mimische Muskulatur) bei Verwendung des Kaumuskelnerven wesentlich geringer.
Des Weiteren kann entgegen der Technik mit einer Hypoglossus-Jump-Nerven-Anastomose bei Verwendung des Kaumuskelnerven auf die Entnahme eines zusätzlichen Spendernerven (wie beispielsweise den N. auricularis magnus) verzichtet und vermeidbare Sensibilitätsstörungen (z.B. taubes Außenohr nach Entnahme des Spendernerven) treten nicht auf. Mit einer Beeinträchtigung der Kaufunktion ist nicht zu rechnen. Auch bei der Verwendung des N. massetericus ist mit Synkinesien zu rechnen. Es gibt es jedoch Hinweise in der Literatur, dass diese weniger ins Gewicht fallen, als bei anderen Spendernerven.
Nach der freien funktionellen Muskeltransplantation befindet sich der Muskel "versteckt" in der Wangenregion unter der Gesichtshaut. Um die Vitalität der freien Muskellappenplastik zu kontrollieren, konnte durch uns ein besonderes Ultraschall-Verfahren mit Kontrastmittel (Bild oben) angewandt werden, welches die Durchblutungsverhältnisse des transplantierten Muskels sehr genau mit dem umliegenden Gewebe, also zum Beispiel der Fettschicht der Gesichtshaut, vergleicht. Dieses hochmoderne Verfahren wurde durch uns erstmalig für die postoperative Nachsorge von Fazialisparese-Patienten angewandt und in der Literatur beschrieben[1]. Anhand dieses Verfahrens lässt sich also zu jedem gewünschten Zeitpunkt nach der Operation überprüfen, ob der transplantierte Muskel gut einheilt. Das Ultraschallverfahren ist bereits unter Anwendung von geringsten Mengen an Kontrastmittel sehr sensitiv und daher für den Patienten in der Regel ungefährlich. Es kann theoretisch beliebig oft wiederholt werden, ohne Nebenwirkungen auf die Nieren- oder Schilddrüsenfunktion auszuüben.
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