Durch den Verlust an Tonus (geringe kontinuierliche Muskelspannung) des Augenringmuskels kommt es bei einer Beteiligung der Fazialisnervenäste zum Auge im Rahmen einer Gesichtslähmung zu einer Erschlaffung. Diese führt zu einer erhöhten Zugwirkung des "schweren Wangengewebes" am Unterlid. Dadurch wird das Unterlid vom Augapfel weggezogen. Das Lid tritt tiefer, die sogenannte Lidspalte (Abstand zwischen Ober- und Unterlid) erweitert sich und die weiße Lederhaut (Sclera) des Auges unterhalb der Iris wird auffällig sichtbar. Man spricht von einem "scleral show". Zusätzlich kann es zu einer chronischen Bindehautentzündung am Auge kommen, die sich durch eine auffällige Rötung, v.a. der Lider zeigt.

Hornhautbenetzung und Tränenfilm

Sind die Erschlaffung des Orbicularis-Muskels und des Unterlids ausgeprägt so erschweren die Benetzung der Hornhaut gleich mehrere Phänomene:

1.) der Tränenfluss, der von der Tränendrüse im äußeren oberen Bereich der Augenhöhle produziert wird und eine kontunierliche physiologische Benetzung des Auges zur Aufgabe hat, wird ungerichtet. Physiologischerweise fließt er über das gesamte Auge und sammelt sich am sogenannten "Tränensee" (Lacus lacrimalis) am vom inneren Lidwinkel.  Von hier aus wird die Tränenflüssigkeit über die Tränenpünktchen (Punctum lacrimale) in die Tränenkanälchen (Canaliculi lacrimalis) und über das Tränenkanalsystem in die Nase abgeleitet. Ist die physiologische Richtung des Tränenfilms durch die Liderschlaffung behindert, so rinnt die Flüssigkeit über das bisweilen wie eine Hängematte erschlaffte Unterlid über den am tiefsten stehenden mittleren Anteil aus dem Auge auf die Wange. Man spricht von Tränenträufeln (Epiphora). Obwohl das Auge optisch den Anschein hat, zu viel Tränenflüssigkeit zu produzieren, zeigt sich ein "trockenes Auge", da ein gleichmäßiger Tränenfilm zur Benetzung fehlt.

2.) durch die Erschlaffung des Muskels und einen eventuell verminderten oder fehlenden Blinzelreflex kommt es zu einem zweiten Phänomen: die Muskelpumpfunktion des Orbicularis-Muskels (Augenringmuskel) auf das Tränenkanalsystem fehlt. Hierdurch wird deutlich weniger Tränenflüssigkeit in die Nasen "abgepumpt", was sich zusätzlich negativ auf die in 1. beschriebene Symptomatik des Tränenlaufens auswirkt.

Wiederherstellung mit Eigengewebe

Ist die Erschlaffung des Unterlides noch gering ausgeprägt, so kann durch eine Straffung des Unterlides mit einer speziellen Aufhängetechnik (Kanthoplastik, Kantopexie), meist am äußeren Lidrand, eine Korrektur erfolgen. Der kleine Eingriff erfolgt über eine unauffällige Schnittführung im Bereich der Wimpern. Die Narben sind später nicht sichtbar. Manchmal muss auch am inneren Lidrand ein Straffung durchgeführt werden, oder das nach außenrotierte Tränenpünktchen wieder nach innen zurückverlagert werden, um den Tränensee wieder adäquat drainieren zu können.

Sind die Muskel-/Gewebserschlaffung und damit das "Unterlid-Ektropium" stärker ausgeprägt, so ist das lokale Gewebe strukturell so geschwächt, dass eine alleinige Aufhängung und Straffung nicht ausreichen. Dann wird strukturell unterstützendes Eigengewebe, z.B. aus dem Unterarm (geringe Anteile einer Sehne) oder dem Oberschenkel (Bindegewebe), welche über unauffällige Schnitte gewonnen werden, eingebracht. Das eingebrachte Eigengewebe verstärkt durch seine eigene Struktur die erschlafften Gewebe am Unterlid, welches hierdurch wieder an den Augapfel angelegt wird. Die Lidachse lässt sich hierdurch korrigieren und wieder in die ursprüngliche, physiologische Stellung bringen. Das Eigengewebe ist von außen nicht oder nur kaum wahrnehmbar und fügt sich sehr gut in die Anatomie des Unterlides ein.

Vor dem Eingriff zeigt sich bei diesem 80-jährigen Patienten aufgrund des gelähmten Augenringmuskels ein massives Tränenlaufen über die Unterlidkante bei trotzdem trockenem Auge. Es imponiert insbesondere eine deutliche Unterlidfehlstellung rechts (Bild oben links). Rechtes oberes Bild: durch die Unterlidrekonstruktion mit Eigengewebe zeigt sich der natürliche Tränenfluss zur Augenmitte hin deutlich gerichteter, die Hornhaut besser benetzt, kein Tränenlaufen mehr. Verbesserte Symmetrie durch Augenbrauenanhebung.

Bild unten links: Es wurde zur Beschwerung des Oberlides bereits ein Goldimplantat eingebracht. Aufgrund des schlaffen Unterlides durch die Muskelschwäche ist trotzdem noch kein vollständiger Augenschluss möglich. Bild unten rechts: nach Unterlidrekonstruktion ist ein fast kompletter Augenschluss möglich. Die "Reizkonjunktivitis" (Bindehautentzündung durch Austrocknung und ständiger Beanspruchung) der Hornhaut am Auge ist verschwunden.

Kombinationsverfahren

Häufig werden Operationsverfahren kombiniert, um die besten Resultate zu erzielen. Im folgenden Beispiel wurden Ober- und Unterlid gleichzeitig adressiert, um einen willkürlichen vollständigen Schluss der Augenlider ohne verbleibende Lidspalte wieder herzustellen.

Dieser Herr leidet unter einer chronischen Bell-parese. Nach über einem Jahr Abwarten hatten sich die Symptome kaum zurückgebildet. Er litt augenscheinlich am meisten unter einem ausgeprägten Unterlidektropium. Es zeigte sich massiv laxes Unterlidgewebe sowie ein komplett schlaffer Augenringmuskel. Beim Versuch eines Augenschlusses verblieb präoperativ ein Lagophthalmus (pathologische Lidspaltenerweiterung beim Augenschluss) von über 1 cm. Durch die Einbringung eines versteckten Platingewichtes in das Oberlid sowie eines sehr dünnen Sehnenstreifens vom Vorfuss in das Unterlid gelingt wieder ein vollständiger Augenschluss. Die für den Sehsinn wichtige Hornhaut ist wieder geschützt, der Patient wird ebenfalls keine Bindehautentzündungen (Konjunktivitiden) mehr bekommen. Ein weiterer operativer Schritt wird die Anhebung der rechten Braue miteinschließen, um die Ruhesymmetrie weiter zu verbessern.