Spastische versus schlaffe Gesichtslähmung: neben der genannten "schlaffen" Parese, können auch spastische Bewegungsstörungen der durch den Fazialisnerv innervierten Muskulatur auftreten. Ein Beispiel ist der sog. “Hemispasmus facialis", bei dem es zu unwillkürlichen, unregelmäßigen und zunehmenden (progredienten) Bewegungen der mimischen Muskulatur kommt[1]. In der Regel stellt sich die Symptomatik einseitig (unilateral)[2] dar und kann sich sowohl in einer extremen Anspannung der Muskulatur als auch in einer krampfhaften und zuckenden Bewegungskomponente äußern. Charakteristisch für den Hemispasmus facialis ist außerdem das “Babiniski-2-Zeichen". Dabei geht die Kontraktion des Augenringmuskels (M. orbicularis oculi) mit einer Verkürzung des inneren Anteils des Stirnmuskels (M. frontalis) einher. Während des Augenschlusses kommt es somit zu einer Anhebung der Augenbraue. Das Babinsiki-2-Zeichen kann zur Abgrenzung des Hemispasmus facialis vom “Blepharospasmus” herangezogen werden. Der Blepharospasmus wird definiert als wiederholt in gleicher Weise auftretende (stereotype), beidseitige (bilaterale) und synchrone Verkrampfungen (Spasmen) des M. orbicularis oculi[3]. Diese Spasmen können sich phasenweise oder dauerhaft zeigen. Solchermaßen wirkt das Auge kleiner als das der nicht betroffenen Gegenseite. Des Weiteren kann ein Blepharospasmus eine gesteigerte Blinzelrate[4] und Schlafstörungen[5] bedingen. Ferner zeigen sich Erkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis, insbesondere Depression, Angst- und Zwangsstörungen[6]. Auch ungewollte Zuckungen kommen vor. Diese werden weniger von der Umwelt, jedoch vom Patienten als äußerst unangenehm empfunden. Psychische Anspannung und Stress verschlimmern die Symptomatik oft und können wiederum teilweise zu Vermeidungsverhalten der betroffenen Patienten führen. Die Ätiologie dieser Erkrankung ist bislang noch nicht vollständig geklärt[7]. Es wird angenommen, dass als wahrscheinlichste Ursache eine Übererregbarkeit des N. facialis aufgrund einer Komprimierung des Nervens durch ein Blutgefäß in der Nähe der Austrittszone aus dem Hirnstamm (Truncus cerebri) vorliegt[8]. Der N. facialis lässt in dieser sog. "Root-Exit-Zone" des Hirnstammes einige anatomische Besonderheiten erkennen, die ihn an dieser Stelle verletzungsanfälliger machen[9]. So fehlen hier das Epineurium und Bindegewebsstränge, die normalerweise die Nervenfaszikel durchziehen. Auch wird in diesem Bereich die Myelinscheide nicht mehr durch die sog. “oligodendroglialen Zellen”, sondern nunmehr durch die “Schwann-Zellen” gebildet. Ferner kann auch eine Irritation des N. facialis im weiter von der Körpermitte entfernten (distalen) Bereich, d.h. im sog. “zisternalen Segment” auftreten[10]. Damit scheint die Genese der Übererregbarkeit des Fazialisnervs auch der des fünften Hirnnervs, des Nervus trigeminus, ähnlich zu sein. Zeitlich begrenzt vermögen Botolinumtoxininjektionen Abhilfe zu schaffen, die allerdings alle 3 bis 4 Monate wiederholt werden müssen[11]. Als kausale Therapieoption stellt sich die mikrovaskuläre Dekompression, d.h. eine Druckentlastung des N. facialis durch Entfernung krankhafter (pathologischer) Kontakte zwischen dem Nerv und Arterien. Bei der sogenannten Trigeminusneuralgie tritt als Ursache u. a. ebenfalls eine pathologische Übererregung des Trigeminusnerven durch ein benachbartes arterielles Gefäß auf. Dies führt in der Konsequenz zu einer plötzlich ins Gesicht einschießenden Schmerzsymptomatik.
Quellen:
[01] Wang A, Jankovic J: Hemifacial spasm: clinical findings and treatment. Muscle Nerve 1998; 21: 1740–7.
[02] Chopade TR, Bollu PC. Hemifacial Spasm. [Updated 2020 Aug 16]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2020 Jan., accessed on 09/01/2020.
[03] Valls-Sole J, Defazio G. Blepharospasm: Update on Epidemiology, Clinical Aspects, and Pathophysiology. Front Neurol. 2016 Mar 31;7:45. doi: 10.3389/fneur.2016.00045. PMID: 27064462; PMCID: PMC4814756.
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[08] Girard N, Poncet M, Caces F, Tallon Y, Chays A, Martin-Bouyer P, et al. Three-dimensional MRI of hemifacial spasm with surgical correlation. Neuroradiology. 1997;39(1):46–51. PubMed PMID: 9121649
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[10] Son BC, Ko HC, Choi JG. Hemifacial Spasm Caused by Vascular Compression in the Cisternal Portion of the Facial Nerve: Report of Two Cases with Review of the Literature. Case Rep Neurol Med. 2019 Jan 1;2019:8526157. doi: 10.1155/2019/8526157. PMID: 30713778; PMCID: PMC6333014.
[11] Rosenstengel C, Matthes M, Baldauf J, Fleck S, Schroeder H. Hemifacial spasm: conservative and surgical treatment options. Dtsch Arztebl Int. 2012 Oct;109(41):667-73. doi: 10.3238/arztebl.2012.0667. Epub 2012 Oct 12. PMID: 23264807; PMCID: PMC3487151.