Freie funktionelle Muskeltransplantationen, die heutzutage ohne eine Funktionsminderung der Entnahmestelle durchgeführt werden können, eignen sich ab dem Kindesalter von etwa 5 Jahren bis zum einem Erwachsenenalter von etwa 70-75 Jahren. Freie Muskeltransplantationen haben sich nach den internationalen Standards zur sogenannten "Reanimation" (Wiederbelebung) der betroffenen gelähmten Gesichtshälfte erfolgreich etabliert und versprechen bei chronischen Lähmungen nach vollständigem Verlust der ehemaligen mimischen Muskulatur die besten Ergebnisse. Dieses Verfahren wird nur an Zentren zur Fazialisrekonstruktion angeboten, welche das gesamte Spektrum der Wiederherstellung inklusive der mikrochirurgischen Transplantation beherrschen. Bei chronischen, d.h. länger bestehenden Gesichtlähmungen, stellt dieses Verfahren nach internationalen wissenschaftlichen Kritierien den sog. "Goldstandard" zur Rekonstruktion dar. 

Im menschlichen Körper stehen verschiedene Muskeln für dieses operative Verfahren zur Verfügung. Bei der Wahl des Muskels müssen Funktionsdefizit nach Entnahme, intraoperative Erreichbarkeit, Größe, Kraft und funktionelle Auslegung des Muskels berücksichtigt werden. Weltweit hat sich der Musculus gracilis als einer der Oberschenkelmuskeln bewährt. Die Entnahme geht mit nahezu keinem Funktionsverlust einher, da es mehrere andere Muskeln gibt, die seine Funktion mühelos übernehmen können. Es können sehr gute Ergebnisse mit diesem Muskeltransplantat erreicht werden.

Dieser jungen Patientin mit angeborener Lähmung wurde durch uns ein kleiner freier Gracilis-Muskel vom Oberschenkel transplantiert. Der Muskel ist unter der Wangenhaut kaum wahrnehmbar. Durch die Muskeltransplantation konnte das Lächeln in der linken Gesichtshälfte (rechts im Bild) harmonisch wiederhergestellt werden, welches zuvor vollkommen fehlte.

Eine weitere Option ist der Musculus pectoralis minor, der kleine Brustmuskel. Der operative Zugangsweg ist etwas aufwendiger als beim zuvor genannten Oberschenkelmuskel. Dennoch hat auch dieser Muskel sich als funktionell hochwertiges Muskeltransplantat bewährt und hat mit seiner federartigen Faserung einen etwas natürlicheren Vektor zur Ansteuerung der Mundwinkelhebung im Gesicht. Besteht in der Gesichtshälfte bereits ein ausgeprägtes Volumendefizit, beispielsweise nach einer Tumorresektion, welches parallel ausgeglichen weden soll, so transplantieren wir den Musculus latissimus dorsi (großer breiter Rückenmuskel) bzw. einen geeignten geringen Anteil davon.

Der kleine funktionelle Muskel wird über einen geringen Schnitt an der rumpfnahen Oberschenkelinnenseite gewonnen und über einen modifizierten Face-Lift-Schnitt (unauffällige Schnittführung vor dem Ohr) unter das Wangengewebe verpflanzt. Er wird vom Mikrochirurg mit dem Operationsmikroskop an kleine Gefäße zur sofortigen Wiederherstellung der Durchblutung und an einen Spendernerven im Gesicht (als zukünftiger Taktgeber) angeschlossen. Er kann mittels Koaptation (mikrochirurgische Nervennaht) an zuvor transplantierte Spendernerven (cross-face-nerve-grafts, CFNG), Fazialisnerven-Unteräste oder weitere Spendernerven verbunden werden. Mit der geeigneten Expertise lässt sich der Muskel soweit formen, dass er nur geringe Ausmaße beansprucht und nach Abklingen einer anfänglichen Schwellungsphase im Gesicht nach der Operation nicht mehr unter der Haut zu erkennen ist.

Nach Transplantation verstreichen einige Monate bis der Muskel seine Tätigkeit aufnehmen kann, da in der sich post-operativ anschließenden "Reinnervationsphase" (Phase der Nervenheilung) zunächst Axone (Nervenfasern) in das Muskeltransplantat einsprossen müssen, um dieses anzusteuern.

Zur freien funktionellen Muskeltransplantation wird aufgrund seiner idealen Beschaffenheit häufig der Musculus gracilis vom Oberschenkel verwendet. Zur Transplantationen wird nur ein kleiner Teil des Muskels als kontraktile Einheit benötigt.

Quelle: Mehta RP. Surgical treatment of facial paralysis. Clin Exp Otorhinolaryngol 2009;2(1):1-5. doi:10.3342/ceo.2009.2.1.1. Epub on 03/26/2009.

Der Musculus gracilis („schlanker Muskel“, Schlankmuskel) ist ein oberflächennaher Skelettmuskel des Oberschenkels und wird zu seinen Adduktoren gezählt. Auf seine Funktion kann vollständig verzichtet werden, so dass nach Entnahme kein funktionelles Defizit entsteht. Im folgenden 3D-Modell ist er an der Oberschenkelinnenseite gut zu erkennen - können Sie ihn ausmachen?

Quelle: Guntinas-Lichius O, Schaitkin BM. Facial Nerve Disorders and Diseases: Diagnosis and Management. Thieme. Stuttgart, New York, New Delhi. 2015 1st ed. P177 FIG12.10.

Nach der Transplantation des kleinen funktionellen Muskels unter die Wangenhaut lässt sich die gute Durchblutung des Gewebes mit hochauflösender Ultraschalldiagnostik kontrollieren.[1]

Dieser 45-jährige Patient zeigte eine vollständige, schlaffe Gesichtslähmung, die zum Zeitpunkt der Operation schon seit 5 Jahren bestanden hatte (Situation linkes Video). Er wurde mit einer freien gracilis-Muskeltransplantation, Neubildung der Nasolabialfalte und zusätzlichem Bindegewebe vom Oberschenkel in einer Operation versorgt. Besonders kompliziert ist die Rekonstruktion einer kräftigten Oberlippenhebung sowie ein, im Zuge dessen, natürliches Lächeln wiederherzustellen.  Postoperativ zeigt sich ein harmonisches symmetrisches Lächeln.

Patienten, die "nur" an einer unvollständigen Lähmung leiden, insbesondere diejenigen, die sich von Geburt an schon an die eingeschränkte Mimik gewöhnt haben, sind deutlich schwerer zufriedenzustellen als Patienten mit einer ausgeprägten schlaffen Parese. Trotzdem kann sich die freie Muskeltransplantation zur Verbesserung von Symmetrie und Funktion lohnen. Dieser Patientin wurde zur Verbesserung des Lächelns und der Mundwinkelansteuerung ein kleiner gracilis-Muskel vom Oberschenkel transplantiert. Postoperativ zeigen sich mehr Oberkieferzähne beim breiten Lachen sowie eine deutlich harmonischere Nasolabialfalte (Lachfalte zwischen Nasenflügel und Mundwinkel).

Dieser 37-jähriger zeigte einen Verlust der Mundwinkelansteuerung und des Lächelns nach einer Bell-Parese. Über einen Zeitraum von 20 Monaten wurden keine Anzeichen einer Erholung des Gesichtsnervs festgestellt. Daraufhin wurde ihm 20 Monate nach Beginn der Fazialislähmung zunächst ein Cross-facen-Nerv (CFNG) transplantiert. In einer zweiten Operation 32 Monate nach Beginn der Lähmung wurde ein freier Gracilis-Muskel transplantiert. Wenige Monate später konnten so ein natürliches Lächeln und Lachen wiederhergestellt sowie die Sozialfunktion deutlich gestärkt werden.  

Gleicher Patient wie oben. Es zeigt sich postoperativ sehr gut ein sogenannter "upper teeth show". Während vor der Muskeltransplantation auch beim breiten Lachen ("mit Zähne zeigen") keine Oberkieferzähne exponiert wurden, blitzen postoperativ hierbei vier Zähne. Das Lächeln erscheint deutlich symmetrischer und wird fortan vom Patienten in der non-verbalen Kommunikation wieder viel häufiger bewusst eingesetzt. 

Quellen:
[1] Kehrer A, Mandlik V, Taeger C, et al. Postoperative control of functional muscle flaps for facial palsy reconstruction: ultrasound guided tissue monitoring using contrast enhanced ultrasound (CEUS) and ultrasound elastography. Clin Hemorheol Microcirc 2017